Adeline Stillmann Autorin
Willkommen bei deinem "Was wäre, wenn"

Kurzgeschichten  

Der Nächste!

Die Uhr tickt laut und falsch.
Beinah im Rhythmus des Herzschlages knallen Stempel nahezu zeitgleich auf ein Stempelkissen und anschließend auf ein Blatt Papier. Ich staune über ein solches Maß an Präzision und frage mich, wie lange die Sachbearbeiterinnen und Arbeiter wohl dazu gebraucht haben?
Nachdenklich starre ich auf die Aktenbögen, unter deren Last sich die Tische biegen. Es ist schon verrückt, was so ein Stück zusammen gepresster Holzspan mit uns machen kann. Während mir das so durch den Kopf geht, geht es gemächlich und im Gleichschritt mit dem rechten Fuß voran einen Schritt nach vorn. Ich beobachte meine Mitleidenden. Wesen verschiedenster Art und Größe. Besonders amüsant ist zu beobachten, wie die Riesen versuchen mit den für sie viel zu kleinen Kugelschreibern ihre Unterschrift auf den zusammengepressten Holzspan zu setzten, der über so viele Dinge entscheidet. Über Lebensräume, Arbeitsplätze, Lohnverhältnisse, über Existenzen.

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Die Küken einer Henne

frei nach dem vietnamesischen Sprichwort:
„Um gegeneinander kämpfen zu können, malten sich die Küken einer Henne Farben ins Gesicht.“
Auf einem Bauernhof, nicht weit von hier, leben Hugo und ich. Mein Name ist Karla und ich bin eine von Hugos Hennen. Genau wie die anderen Hennen auch habe ich schönes, hellbraunes Gefieder und lege schön regelmäßig meine Eier. Im Gegensatz zu den anderen Hühnern habe ich leider noch keine Küken. Ich spiele immer mit den Küken der anderen, passe auf die Kleinen auf. Ach… Wie schön wäre das, wenn meine auch mit bei den kleinen, wuseligen Fusselbällen mit fusseln könnten. Hugo ist immer sehr rücksichtvoll und tröstet mich, wenn wieder keiner Küken schlüpfen.
Doch dieses Mal ist es anders, das weiß ich. Aus diesem Gelege werden Küken schlüpfen!
Die anderen sagen, ich soll nicht zu viel erwarten und dass ich das immer sage, wenn ich ein Gelege habe. Doch ich weiß es, ganz bestimmt! Dieses Mal werden Küken schlüpfen!

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Jahrmarktsnächte

Alisha hatte einen guten Blick von ihrem Zimmer auf den verlassenen Park von Meadows Grounds. Als sie die Gerüchte zum ersten Mal hörte, musste sie einfach in das Camp. Das Camp, das sich direkt neben dem Park angesiedelt hatte. Es erfreute sich recht großer Beliebtheit. Kein Wunder, bei solchen Geschichten. Doch etwas passierte, immer wenn die Sonne unterging. Der Wind wehte dann nur aus der Richtung des Parks. Er brachte den Geruch von frischem Popcorn und gebratenen Mandeln in das Camp. Lockend, beinahe unwiderstehlich. Manchmal war ihr auch, als würde sie vergnügtes Lachen hören. Oder die Musik, die sie so sehr an Jahrmärkten nervte. Und doch brachte dieses wohlige Gefühl tief in der Magengrube mit sich. Wie ein Versprechen von den Abenteuern, die hinter dem Zaun des Parks warteten. Es war, als würde der Wind in sich die Erinnerungen an fröhliche Stunden tragen und wehmütig mit seinem Duft daran gedenken wollen. Alisha stand am Fenster, wie jede Nacht, und schimpfte sich selbst. Es war nur ihre Fantasie, die da mit ihr durchging. Warum sie am Fenster stand?

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Wenn das letzte Blatt fällt

Seufzend starrte Laurel aus ihrem Busfenster und lehnte ihren Kopf an die Scheibe. Es war nicht lange her, da hatte Steve sie verlassen. Statt neben ihr zu sitzen und sie mit dämlichen Flachwitzen oder dem Strohhalm seiner Safttüte an ihrer Nase zu nerven, saß er bis hinten im Bus auf dem Weg in das Camp Waldbaden in Achsenbühl. Sie sah zu, wie der Herbstwind die bunten Blätter von den Bäumen pustete und manchmal eines von ihnen gegen die Scheibe klatschte. Ihr Blick fiel auf Hanna, die wie immer neben Paul saß. Ihr schwarzes Haar war in einem stylischen Pixi-Cut geschnittenen. In ihrem Pony hatte sie zu ihrer Augenfarbe gehörende, hellblaue Strähnen und mit ihren Lederklamotten sah sie unverschämt gut aus. Ihr Look war eine Mischung zwischen elegant und frech. Immer, wenn Laurel Helena ansah, spürte sie, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte und sich ihre Gedanken in ein heilloses Durcheinander stürzten. Hanna richtete ihren Blick auf Laurel und setzte ein Lächeln auf, dass Laurel scharf Luft einsog. Beinah panisch wandte sie sich wieder dem Blick aus dem Bus zu. Skeptisch begutachtete Laurel ihr Spiegelbild in dem Fenster und seufzte. Mit ihren braunen langen Haaren, den braunen Augen und den schlichten Klamotten, sah sie so spießig aus wie die Gartenzwerge im Vorgarten ihrer Omi.

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